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Polnische Hochzeitsbräuche

Es folgt ein Erfahrungsbericht von einer Polnischen Hochzeit aus dem Handelsblatt (Orange)

Keine Angst ganz so schlimm wird es nicht aber es gibt euch einen guten Vorgeschmack. Wenn ihr mehr über den Ablauf wissen wollte schaut euch unsere englische Seite zu dem Thema an.

Hart, härter, Hochzeit in Polen – So musste ich 48 Stunden durchfeiern

 

Eine polnische Hochzeit erlebt man nicht, man muss sie überleben. Ein Erfahrungsbericht.

Ich wache auf. Die warmen Sonnenstrahlen, die ins Hotelzimmer fallen, eigentlich angenehm, sind heute eine unsägliche Qual. Mein Kopf pocht, alles dreht sich – ich bin absolut zerstört.

 

Viele Polen sind erzkonservative Christen

Aber statt den Kater katern zu lassen, muss ich unter die Dusche. Denn in einer Stunde folgt Teil zwei der Hochzeit meiner Cousine. Teil zwei? Ja, Teil zwei, denn ich bin in Polen und hier werden Hochzeiten über zwei Tage gefeiert.

Nach der kalten Dusche und wieder schick eingekleidet, steige ich noch leicht wankend ins Taxi und versuche mich an Teil eins der Hochzeit zu erinnern.

Ein Tag zuvor: Um 16:30 Uhr beginnt die Hochzeitsmesse. Meine Cousine, traditionell weiß gekleidet, sitzt neben ihrem künftigen Ehemann. Vor ihnen der Priester, hinter ihnen die 115 geladenen Gäste.

Viele Polen sind erzkonservative Christen, auch die anwesenden Gäste. Nur, so gläubig es in der Kirche auch zugehen mag, keine drei Stunden später wird von dieser gläubigen Fassade nicht mehr viel übrig bleiben.

 

Wodka wird pur getrunken, nachspülen mit Cola ist erlaubt

Nach der Messe geht’s zum Festsaal, es beginnt harmlos. Doch nach der Vorspeise, eine Hühnerbrühe, heißt es: Feuer frei! Na zdrowie! Auf die Gesundheit!

Es wird geschossen, was das Zeug hält, und zwar Shot um Shot. An meinem Tisch sitzen wir zu zehnt. Die ersten beiden 0,5-Liter-Flaschen Wodka sind in nicht einmal 20 Minuten leer – noch vor der Hauptspeise.

Die Kellner kontrollieren die Tische. Leere Wodka-Flaschen? Geht gar nicht, her mir den nächsten beiden Pullen! Mit der Hauptspeise im Magen wird das Tempo erhöht. Der nächste Liter verschwindet noch schneller, als der erste. Der Wodka wird übrigens pur getrunken. Lediglich nachspülen mit Cola ist erlaubt. Ich merke jetzt schon: Das wird übel.

Jeder Gast kann jederzeit eine Wodka-Runde für den ganzen Saal erzwingen. Einfach aufstehen und „gorzko“ ausrufen. Übersetzt heißt das „bitter“. Ruft ein Gast das aus, müssen alle Anwesenden einen Wodka trinken. Das Ehepaar muss sich währenddessen küssen, denn, so die Logik, mit der Süße des Kusses, soll die Bitternis des Wodkas gelindert werden.

 

Irgendwann stimme auch ich das Lied an

 

Hat der Kuss den Gästen zufolge nicht geholfen, wird ein Lied angestimmt: „Ona temu winna, ona temu winna, pocalowac go powinna“, was so viel heißt wie, „Sie ist daran schuld, sie ist daran schuld, küssen sollte sie ihn.“

Danach muss sich das Hochzeitspaar ein weiteres Mal küssen. Und natürlich hilft der erste Kuss nie. Je länger der Abend, desto mehr Menschen stehen auf. Irgendwann stimme auch ich das Lied an.

Endlich, die Band spielt Musik. Die Tanzfläche ist rappelvoll. Junge Frauen, knapp gekleidet, auf hohen Schuhen, die Haare perfekt gestylt, fordern mich zum Tanzen auf. Widerstand zwecklos. Ich muss mitgehen. Es tanzt einfach jeder mit jedem. Die Tanzerei hilft. Eine Stunde Parkett ordnet das Hirn wieder.

Doch es wird nicht nur besinnungslos gesoffen. Gegen Mitternacht finden die sogenannten „oczepiny“ statt. Eine Art symbolischer Akt, bei dem die Ehefrau und der Ehemann in den Ehestatus überführt werden. An diesem Akt nehmen die Gäste teil. Es werden Spiele gespielt à la Reise nach Jerusalem.

 

In 20 Sekunden so viele Küsse einsammeln wie möglich

Das Spiel, an dem ich teilnehme, ist recht simpel. Mir und drei weiteren männlichen Gästen werden ein Poloshirt und ein Lippenstift überreicht. Unsere Aufgabe: In 20 Sekunden so viele Küsse der weiblichen Gäste auf dem Poloshirt einheimsen wie möglich. Der Preis – was soll es auch anderes sein – eine Wodka-Flasche. Leider gewinne ich.

Es ist kurz nach eins in der Nacht. Hemmungen hat jetzt keiner mehr. Die christlich-konservativen Polen erweisen sich als brutale Feierbiester. Wieder singt einer das Trinklied.

Danach der nächste Shot und der nächste und… der Strudel, in den ich langsam hineingleite, dreht sich immer schneller und schneller und zack bin ich im Hotelzimmer. Völlig verkatert.

 

Während alle Gäste weitertrinken, fühle ich mich wie ein Amateur

In Deutschland feiert man Hochzeiten deutlich entspannter. Das hat auch was, kann aber schnell langweilig werden. In Polen kann das nicht passieren.

Wenn ihr polnische Freunde habt, die von polnischen Hochzeiten schwärmen, dann glaubt mir: Eure Freunde übertreiben nicht. Langeweile kommt sicher nicht auf. Nur erinnern kann man sich eventuell nicht mehr an alles.

Nun steige ich also aus dem Taxi. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich den zweiten Teil der Hochzeit durchstehen soll. Der Festsaal ist derselbe, die Gäste auch. Nur ich bin nicht derselbe. Während alle anderen bereits wieder munter trinken, sehe ich aus wie ein Häufchen Elend.

Ich fühle mich wie ein Amateur. Es wird gegessen, was von gestern übrig ist. Und getrunken, was noch nicht ausgetrunken wurde. Der zweite Teil endet genauso wie der erste. Die Uhr schlägt vier Uhr morgens. Immerhin kann ich mich diesmal erinnern, wie ich ins Hotel gekommen bin.

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